Dieser Artikel ist Teil einer Serie über die Auswirkungen des Krieges in der Ukraine auf afrikanische Länder. Die Serie wurde von Chris O. Ogunmodede herausgegeben.
Zusammenfassung
- Die Beziehungen zwischen Afrika und der EU bleiben trotz der vielversprechenden Ergebnisse des jüngsten AU-EU-Gipfels weiterhin unstet.
- Der Russland-Ukraine-Krieg wird die bereits fragile hierarchische Beziehung wahrscheinlich zusätzlich beeinträchtigen.
- China unterstützt die Positionen afrikanischer Länder zum Krieg in der Ukraine unter Verweis auf die Kritik Afrikas an der internationalen Ordnung unter Führung der USA.
- Die jüngsten Kommentare zu den Beziehungen zwischen Afrika und der EU im Zusammenhang mit diesem Konflikt sind oft wenig differenziert, insbesondere in Bezug auf die internationalen Beziehungen Afrikas im Allgemeinen.
- Veränderungen bei der von der EU bereitgestellten Sicherheitshilfe illustrieren einige der Stolpersteine in den Beziehungen zwischen Afrika und der EU.
- Insgesamt müssen die Beziehungen zwischen Afrika und der EU auf gegenseitigem Respekt beruhen, um den negativen Trend umzukehren.
Einführung
Das Gipfeltreffen zwischen der Afrikanischen und der Europäischen Union im Februar 2022 endete wie es begann: enttäuschend. Der EU-AU-Gipfel wurde 2007 ins Leben gerufen und fand 2022 zum sechsten Mal statt. Das große Treffen der afrikanischen und europäischen Staats- und Regierungschef*innen war mit großer Spannung erwartet worden. Das lag zum einen an der 18-monatigen Verzögerung des Gipfels aufgrund der Corona-Pandemie, aber auch daran, dass das Treffen im Jahr 2022 den Startschuss für eine erneuerte Partnerschaft zwischen der EU und der Afrikanischen Union, ihren Institutionen und den Mitgliedstaaten der Union geben sollte. Der sechste AU-EU-Gipfel fand im Kontext zunehmender geopolitischer Spannungen statt, in dem sich Afrika als Schauplatz strategischer Machtspiele von Europas Hauptrivalen, darunter China und Russland, wiederfindet. Der Schwerpunkt liegt nach wie vor auf einer „Partnerschaft auf Augenhöhe“, die durch eine Verpflichtung zur Schaffung von Arbeitsplätzen, Wirtschaftswachstum und Handelsinvestitionen im Rahmen der neu ins Leben gerufenen Global-Gateway-Initiative gesichert werden soll. Die EU scheint damit entschlossen, dem Signal von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zu folgen, dass Afrika im Rahmen ihrer „geopolitischen EU-Kommission“ eine prioritäre Stellung einnehmen wird.
Der Ukraine-Krieg sorgt für Unklarheit bei den Beziehungen zwischen Afrika und der EU
Die EU bezeichnete das jüngste AU-EU-Gipfeltreffen als Gelegenheit, „die angespannten Beziehungen zu Afrika neu zu ordnen“. In letzter Zeit waren die Beziehungen durch Streitigkeiten über kontroverse Themen wie Migration, die Corona-Pandemie, der ungleiche Zugang zu Impfstoffen und das Reiseverbot für die Länder im südlichen Afrika nach der Entdeckung der Omikron-Variante belastet worden. Da das diesjährige Treffen eine knappe Woche vor dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine stattfand, hat Afrika auf der Agenda der EU an Priorität verloren. Ein Beispiel dafür ist das Versäumnis der EU, das Partnerschaftsabkommen von Cotonou durch ein Folgeabkommen zu ersetzen. Das Cotonou-Abkommen war zwei Jahrzehnte lang der rechtsverbindliche Rahmen, der die Beziehungen zwischen den afrikanischen Ländern und der EU regelte. Es stellte eine Abkehr von früheren Abkommen zwischen der EU und Afrika dar, indem es den Schwerpunkt der Zusammenarbeit auf Hilfe, Handel und politische Kooperation ausweitete. Obwohl die Verhandlungen über ein Folgeabkommen im Jahr 2018 begannen und 2021 ein Vorschlag für ein neues Abkommen veröffentlicht wurde, steht die Unterzeichnung noch aus. Damit befindet sich der wichtigste Rahmen für die Beziehungen zwischen Afrika und der EU in einer Art Schwebezustand. Das Ausbleiben signifikanter Fortschritte beim Abschluss eines Folgeabkommens ist jedoch keine Überraschung, da die EU ihre Zeit und Ressourcen darauf verwendet hat, angesichts von Russlands imperialistischem Krieg in der Ukraine eine geschlossene Front unter ihren Mitgliedstaaten zu schaffen.
Es ist auch nicht überraschend, dass ein großer Teil der Analysen, die nach dem Gipfel verfasst wurden, den aktuellen Krieg in der Ukraine und seine Auswirkungen in den breiteren Diskurs über die Beziehungen zwischen Afrika und Europa einordnen. Viele Kommentator*innen haben sich auf die globalen Auswirkungen des Konflikts konzentriert, wie zum Beispiel die unsichere Ernährungslage, die Handelsunterbrechungen und die in die Höhe schießenden Preise für Lebensmittel und andere lebenswichtige Güter, von denen auch Afrika nicht ausgenommen sein wird. Andere haben sich auf die Reaktionen afrikanischer Länder auf den Ausbruch des Krieges in der Ukraine konzentriert sowie auf die Frage, was das afrikanische Abstimmungsverhalten bei den die Ukraine betreffenden UN-Resolutionen für die westlichen Mächte, einschließlich der EU, bedeuten könnte. Während einige Analyst*innen mit größter Sorge auf mögliche Auswirkungen des Ukraine-Krieges auf die künftige sicherheitspolitische Zusammenarbeit zwischen Europa und Afrika blicken, versuchen andere, diese Bedenken zu zerstreuen. Mit anderen Worten: Es besteht im Zusammenhang mit dem russischen Einmarsch in der Ukraine kein Konsens über den Stand der afrikanisch-europäischen Beziehungen.
Die Afrika-Europa Beziehungen über Europa hinaus denken
Die Diskurse zu den Beziehungen zwischen Afrika und Europa sind häufig überwiegend an ein europäisches Publikum gerichtet. Auf afrikanische Perspektiven hingegen wird selten eingegangen, sofern diese überhaupt zur Sprache kommen. Und das liegt nicht etwa daran, dass die afrikanischen Länder keine Position zu ihren internationalen Beziehungen zu vertreten hätten, gerade angesichts der jüngsten globalen Entwicklungen. Geht es dann doch einmal um afrikanische Perspektiven, werden diese von wohlmeinenden europäischen Think Tanks und der Zivilgesellschaft formuliert. In politischen Diskussionen und Analysen der Beziehungen zwischen Afrika und Europa geht es ausnahmslos um eurozentrische Perspektiven, auch was Verbesserungsmöglichkeiten und empfohlene Lösungen betrifft. Doch wie denken Afrikaner*innen über die Beziehungen zwischen Afrika und Europa und wie wirken sich globale Entwicklungen wie der Russland-Ukraine-Konflikt auf sie aus? Um den Titel des Essays von Gayatri Chakravorty aufzugreifen: Können Subalterne sprechen? In gewissem Sinne steht der Ukraine-Krieg bereits für das historische Ungleichgewicht, das die Beziehungen zwischen Afrika und Europa seit jeher kennzeichnet. Manche würden sogar sagen, dass der Krieg diese Kluft noch verstärkt, ganz gleich, ob wir pessimistisch oder optimistisch in die Zukunft blicken. Die gegenwärtige Situation hat jedoch wichtige Folgen für die Zukunft der afrikanisch-europäischen Beziehungen und darauf, ob es einen Ausweg aus der derzeitigen Sackgasse gibt.
Es lohnt sich daher, die Frage zu stellen, wie die politischen Eliten Afrikas die Beziehungen ihrer Länder zu Europa im breiteren Kontext des Krieges in Europa interpretieren. Hier werde ich mich speziell auf die Bereiche Frieden und Sicherheit konzentrieren.
Die Beziehungen zwischen der EU und ihren afrikanischen Partnern sind Teil des ältesten außenpolitischen Rahmens der EU. Lange bevor mit dem Vertrag von Maastricht die Säulenstruktur der EU etabliert wurde, aus der die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) hervorging, verpflichteten sich die ursprünglichen Mitglieder der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), der Vorgängerorganisation der EU, dazu, strukturierte Beziehungen mit den ehemaligen europäischen Kolonien in Afrika aufzubauen. Zu einem gewissen Grad verstärkte dies die koloniale Dynamik, von der die Beziehungen bereits gekennzeichnet waren.
Während viele, auch in der EU, seit Langem mit Sorge auf diese asymmetrische Beziehung blicken, verlieren auch viele afrikanische Länder zunehmend die Geduld. Diese Spannung wurde im Vorfeld der gemeinsamen Afrika-EU-Strategie von 2007 und des diesjährigen Gipfels besonders deutlich.
Statt von einer freundschaftlichen Zusammenarbeit war das Verhältnis zwischen der EU und den afrikanischen Ländern in den letzten Jahren zunehmend von Spannungen geprägt. Einerseits steckt die EU nach wie vor in einer Identitätskrise, schließlich haben die Krise in der Eurozone, der Aufstieg des Rechtspopulismus, die Corona-Pandemie und jüngst der Krieg an ihren Grenzen die Politik der Union im letzten Jahrzehnt auf den Kopf gestellt.
Andererseits hat sich die EU selbst in jenen Bereichen über afrikanische Akteure hinweggesetzt, in denen diese bereits eigene Akzente gesetzt hatten. Ein gutes Beispiel dafür ist die Einrichtung der Europäischen Friedensfazilität (EFF). Sie ersetzte die frühere Afrikanische Friedensfazilität (AFF), die es afrikanischen Regierungen ermöglichte, den Umfang der Sicherheitsmaßnahmen selbst zu bestimmen. Die EU hat die AFF mit dem Ziel finanziert, die Entwicklung der Afrikanischen Friedens- und Sicherheitsarchitektur (African Peace and Security Architecture, APSA) voranzutreiben. Doch anders als zuvor mit der AFF kann die EU mit der Europäischen Friedensfazilität die AU bei wichtigen Entscheidungen, die die Sicherheit des Kontinents betreffen, umgehen. Obgleich die EFF mehr Raum für bilaterale Beziehungen zwischen der EU und einzelnen afrikanischen Ländern schafft, bleibt abzuwarten, was dies für das Ziel einer robusten kontinentalen Sicherheitsarchitektur bedeutet. Viele afrikanische Beobachter*innen befürchten, dass die Hinwendung der EU zu Geopolitik und „Pragmatismus“ zu einer ungebremsten Militarisierung und Interventionismus auf dem Kontinent führen wird. Dies ist umso bedeutsamer, als die eigenen Prioritäten der EU die afrikanischen Sicherheitspläne untergraben könnten. Dies hat auch praktische Auswirkungen. Theoretisch könnte afrikanischen Ländern bei bilateralen Sicherheitshilfen im Rahmen der EFF Vorrang eingeräumt werden. In der Praxis ist dies jedoch nicht notwendigerweise der Fall. Allein in diesem Jahr sind 2,5 Milliarden der 5,69 Milliarden Euro, die der EFF zugewiesen wurden, in Waffen für die Ukraine für deren Verteidigung gegen Russland geflossen.
Die prekäre Situation der Auszahlungen im Rahmen der EFF wird weiter dadurch verschärft, dass es vor der Gründung der EFF keine Alternative zur AFF gab, was nach dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine noch deutlicher geworden ist. Die AU wurde durch die Abhängigkeit von der EU zwar nicht daran gehindert, ihre eigenen Prioritäten festzulegen, doch die Finanzierungslücke – und das dadurch entstehende Ungleichgewicht – hat sich auf die institutionelle Einbindung einer nachhaltigen Finanzierung afrikanischer Friedens- und Sicherheitsinitiativen ausgewirkt.
Die afrikanischen Länder haben sich stets darum bemüht, mit allen Ländern, die dazu bereit sind, Sicherheitspartnerschaften einzugehen und finanzielle und andere Formen der Unterstützung für ihre Sicherheitsoperationen zu erhalten. Dies hat zu einer verstärkten Zusammenarbeit mit den USA, China, Japan, Indien und Russland sowie zu bilateralen Kooperationen mit einzelnen EU-Mitgliedstaaten geführt. Diese Vereinbarungen scheinen eine Art „Plan B“ zu sein, um die Lücken in der neuen Friedens- und Sicherheitsvereinbarung zwischen der AU und der EU zu schließen und die Abhängigkeit von der AFF zu beenden. Allerdings sind die meisten dieser Kooperationen nicht so ausgelegt, dass sie die kontinentale Friedens- und Sicherheitsarchitektur unterstützen. Es scheint vielmehr, dass diese neuen internationalen Beziehungen hauptsächlich dazu dienen sollen, den afrikanischen Ländern das zu geben, was sie brauchen. Das mag auch der Grund dafür sein, dass die russische Führung ihre diplomatischen Kontakte zu afrikanischen Ländern intensiviert hat und im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine nach neuen Partnerschaften sucht. Der Großteil der Partnerschaften zwischen Russland und Afrika dürfte der langfristigen Friedenskonsolidierung für afrikanische Bürger*innen nicht zuträglich sein, auch wenn diese Beziehungen für politische und sicherheitspolitische Eliten in Afrika von Vorteil sind. Diese Kritik lässt sich jedoch auch auf die Sicherheitspolitik der EU und ihrer Mitgliedstaaten in Ländern wie Niger und Libyen anwenden. Im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg ist es daher zu einfach, afrikanische Forderungen nach einem Dialog und der Achtung der Rechtsstaatlichkeit als Parteinahme für Russland oder als Ausdruck des Erfolgs der russischen Desinformationskampagnen zu interpretieren.
Obgleich sich Afrika mit seinen Positionen angesichts der einseitigen russischen Aggression gegen eine souveräne Ukraine zurückhält, würde ich behaupten, dass die verschiedenen afrikanischen Länder – ähnlich wie bei der EU – vor allem mit Pragmatismus auf die geopolitische Lage blicken. Werden die Bedingungen, unter denen die AU und ihre Mitgliedstaaten ihre Partner auswählen und ihre Position zu Schlüsselthemen, wie Frieden, Sicherheit und Governance festlegen, ignoriert, wird dies die Zukunft der afrikanisch-europäischen Beziehungen gefährden. Werden afrikanische Positionen zu internationalen Angelegenheiten nicht im Detail analysiert und berücksichtigt und als bloße Propaganda abgetan, verstärkt dies den Eindruck, dass die EU Afrika und der afrikanischen Bevölkerung keinen Respekt entgegenbringt. Die Beziehungen zwischen Afrika und Europa können wohl kaum verbessert werden, wenn die Beziehungen zwischen der EU und ihren afrikanischen Partnern von mangelndem Respekt gekennzeichnet sind. Und man kann davon ausgehen, dass auch die EU das erkannt hat.
Über die Autorin
Dr. Toni Haastrup ist Professorin für Internationale Politik an der Universität Stirling. Ihre Forschungsarbeit befasst sich im Wesentlichen mit globalen Machthierarchien (zwischen dem globalen Norden und Süden) in Wissen und Praxis. Sie hat dazu gearbeitet, wie die Afrikanische Union und die EU regionale Sicherheitsinstitutionen auf dem Gebiet der globalen Ordnungspolitik und der globalen Sicherheit tätig sind. Ein Teil ihrer aktuellen Forschungsarbeit stützt sich auf den kritischen Feminismus, aus dessen Perspektive sie außenpolitische Praktiken beider Institutionen untersucht. Neben ihrer Forschungs- und Lehrtätigkeit zu geschlechtsspezifischen und internationalen Sicherheitsfragen ist sie auch als Medienkommentatorin und Beraterin für internationale Organisationen tätig. Dr. Haastrup ist Absolventin der University of California, Davis (BA), der University of Cape Town (MA) und der University of Edinburgh (PhD).