Energiekooperation zwischen Afrika und Deutschland: Entwicklung, Diplomatie, Transformation

Die neue Ampelkoalition strebt einen umfassenderen Kooperationsansatz an, der Energiediplomatie, Energieaußenpolitik, Entwicklungszusammenarbeit und nicht zuletzt technische Zusammenarbeit miteinander verbindet.

Energiekooperation zwischen Afrika und Deutschland: Entwicklung, Diplomatie, Transformation
© Canva
Unter Franziska Müller
Published on Jun 7, 2023

Dieser Artikel ist Teil der Reihe „Deutschlands Afrikapolitik“. Die Reihe wird herausgegeben von Dr. Melanie Müller und Dr. Olumide Abimbola.

Zusammenfassung
  • Die energiepolitischen Beziehungen zwischen Deutschland und Afrika haben sich lange Zeit auf das Feld der Entwicklungszusammenarbeit beschränkt und dabei andere energiepolitische Perspektiven ausgeblendet.
  • Nach Ansicht der Autorin zeichnet sich unter der neuen Ampelkoalition ein umfassenderer Kooperationsansatz ab, der Energiediplomatie, Energieaußenpolitik, Entwicklungszusammenarbeit und nicht zuletzt technische Zusammenarbeit miteinander verbindet.
  • Die Finanzierung energiepolitischer Vorhaben fokussiert sich zusehends auf Multi-Stakeholder-Partnerschaften wie die Just Energy Transition Partnership.
  • Die deutsch-afrikanische Energiediplomatie geht mit zwei konkurrierenden Interessen einher: dem Interesse an einer stärkeren Kooperation im Bereich der erneuerbaren Energien, etwa in Form industrieller Zusammenarbeit beim Bau von Solar- und Windparks, finanzieller Kooperation im Rahmen grüner Fonds und, als jüngstem Trend, in Form von Wasserstoffpartnerschaften. Dem entgegen steht ein Interesse an der Diversifizierung der Beziehungen im Bereich fossiler Brennstoffe und an der Erschließung der afrikanischen Öl- und Gasmärkte für den Import von Flüssigerdgas und der Errichtung neuer Terminals.
  • Um die deutschen und afrikanischen diplomatischen Interessen in Einklang zu bringen, ist die Suche nach gemeinsamen normativen Bezugspunkten, insbesondere der Energiegerechtigkeit, und eine Abkehr von nachkolonialen Import-Export-Dichotomien entscheidend.
Einleitung

Gegenwärtig findet ein grundlegender Wandel der energiepolitischen Beziehungen zwischen Deutschland und Afrika statt. Jahrzehntelang waren auch diese Beziehungen von den klassischen Dichotomien zwischen „Entwicklung“ und „Unterentwicklung“ und von einem Denken in Defiziten geprägt. So wurde Energiearmut nicht primär als Ausdruck struktureller Ungleichheit und Ungerechtigkeit betrachtet, sondern als Defizit, ohne jedoch politische und ökonomische Ursachen dafür in den Blick zu nehmen. Die heutigen energiepolitischen Beziehungen zeichnen ein ambivalenteres Bild, das neue Handlungsspielräume eröffnet: Energie ist zu einem außenpolitischen Thema avanciert, grünes afrikanisches Unternehmertum ermöglicht transnationale Kooperation. Afrikanische Staaten setzen genuine Akzente in der Energiediplomatie und die Energieaußenbeziehungen diversifizieren sich vielerorts. An der derzeitigen Konstellation lassen sich Deutschlands diplomatische Strategien und wirtschaftliche Interessen ablesen. Einerseits unterstreicht Deutschlands Engagement das Interesse, an der Schnittstelle zwischen Energie und Entwicklung politisch einzuwirken, andererseits spiegelt die Situation aber auch den deutschen Wunsch wider, im Bereich der grünen Geopolitik in afrikanischen Räumen eine etablierte Machtposition aufrechtzuerhalten. Vor diesem Hintergrund unterstreicht die neue deutsche Afrikastrategie das Engagement für einen gerechten Übergang, mit der Zielsetzung, grüne Finanzströme, Energiepartnerschaften und urbane Nachhaltigkeit zu stärken. 

Nach einem kurzen historischen Rückblick soll der folgende Beitrag die jüngsten Entwicklungen und aktuellen Trends beleuchten, bevor er mit einer Reihe politischer Empfehlungen für eine an der Norm der Energiegerechtigkeit orientierte Zusammenarbeit schließt.

Rückblick: Energiepolitische Beziehungen zwischen Deutschland und Afrika

Die deutsch-afrikanischen Beziehungen in der Energiepolitik haben sich traditionell auf Fragen der Entwicklungszusammenarbeit konzentriert, wie etwa auf Energiearmut oder auf die Nutzung erneuerbarer Energien im Rahmen ländlicher Entwicklung. Von 2002 bis 2020 hat Deutschland insgesamt 3,61 Mrd. USD an Entwicklungsfinanzierung für die Energieversorgung in Subsahara-Afrika zugesagt, wobei die jährlichen Beträge im letzten Jahrzehnt zwischen 245 und 600 Mio. USD lagen. Diese Summe entspricht in etwa der von den Vereinigten Staaten von 2002 bis 2022 bereitgestellten Summe (3,58 Mrd. USD). Die fünf afrikanischen Länder, die den Großteil der deutschen Entwicklungsfinanzierung erhalten haben, waren Südafrika, Uganda, Kenia, Côte d’Ivoire und Mosambik. Die Mittel flossen hauptsächlich in die Netzinfrastruktur t (1,4 Mrd. USD) sowie in die Erzeugung erneuerbarer Energien (1,0 Mrd. USD). Ein beträchtlicher Betrag (401 Mio. USD) floss aber auch in energiepolitische Beratung und Managementstrukturen.

Finanzflüsse der deutschen Entwicklungsfinanzierung - Finanzierung von Energieprojekten im südlichen Afrika

Quelle: AidAtlas 2022

16 afrikanische Länder südlich der Sahara erhielten Entwicklungsfinanzierung aus Deutschland für die Energieversorgung. Die höchsten Beträge erhielten Südafrika (1,07 Mrd. USD), Uganda (369 Mio. USD) und Kenia (328 Mio. USD).

Mit dem Boom der Solar- und Windindustrie in Deutschland Anfang der 2000er Jahre stieg das Interesse an vielversprechenden Märkten mit großem geophysikalischen Potenzial. Verstärkt wurde dieses Interesse die Liberalisierung der Handelsbeziehungen im Rahmen des Cotonou-Abkommens und der Economic Partnership Agreements. Im Zuge dieser Expansion entstand auch die Desertec-Initiative, deren administratives Rückgrat größtenteils in Deutschland angesiedelt war. Während die Schattenseiten des Projekts (territoriale Ansprüche und Landnutzungskonflikte, Extraktivismus, mangelnde lokale Integration) heute deutlich ersichtlich sind, wurde das Projekt damals noch als eine Win-Win-Lösung präsentiert. Sie sollte erneuerbare Energien durch Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung in europäische Länder liefern und stabile Arbeitsplätze in der Maghreb-Region schaffen. Weitere Vorhaben zielten darauf ab im Rahmen von Programmen zur Entwicklung des ländlichen Raums in Ägypten, Namibia und Südafrika Kleinversorgungssysteme (sogenannte Mini-Grids) oder Solar Home Systems zu etablieren. 

Mit zunehmendem Fokus auf die Geopolitik haben neben entwicklungspolitischen Schwerpunkten auch strategische Erwägungen an Bedeutung gewonnen. Bereits in den 2000er Jahren rückten mit der anvisierten Diversifizierung der Energiemärkte und dem Interesse an einer geringeren Abhängigkeit von russischem Gas die afrikanischen Gasressourcen ins Blickfeld. Dieses neu erwachte Interesse fiel jedoch in eine Zeit, in der Russland und China ihr Engagement durch die Erschließung von Öl- und Gasvorkommen in Angola, Sudan, Mosambik und Nigeria ebenfalls intensivierten. Unter der Schirmherrschaft der deutschen Regierung förderte der „Marshallplan mit Afrika“ eine engere Zusammenarbeit im Bereich der fossilen und grünen Energie, wodurch entwicklungspolitische Normen mit geopolitischem Dominanzstreben verknüpft wurden. Das neue Instrument der Reformpartnerschaften zielte auf eine privilegierte Zusammenarbeit mit jenen Ländern ab, die sich zu Reformen im Privatsektor verpflichteten. Deutschland schloss Abkommen mit Tunesien, Ghana, der Elfenbeinküste, Äthiopien, Marokko und dem Senegal ab. Beispielsweise konzentriert sich die Partnerschaft mit Ghana – neben den üblichen Zielsetzungen wie der Mobilisierung von privatem Kapital, der Schaffung von Arbeitsplätzen und Good Governance – auf erneuerbare Energien und Energieeffizienz: eine Reform des Stromerzeugungssektors unter Einbeziehung unabhängiger Stromerzeuger*innen, Risikominderung für Investitionen im Energiebereich, ordnungsgemäße Ausschreibungsverfahren für Solarprojekte und berufliche Bildung für Techniker*innen und Ingenieur*innen. Vor diesem Hintergrund spielte Deutschland auch eine bedeutende Rolle bei der Vertiefung der strategischen Partnerschaft der EU mit Südafrika – mit einem Schwerpunkt der Zusammenarbeit im Bereich der erneuerbaren Energien, allerdings einschließlich von Technologien für Kohlenstoffabscheidung und Fracking.

Viele der früheren Initiativen haben jedoch die lokale Energieinfrastruktur vernachlässigt, insbesondere im Hinblick auf die politische Dimension der Energiewende. Obwohl mehrere afrikanische Länder in den 2000er Jahren den Grundstein für ihre eigene Politik im Bereich der erneuerbaren Energien legten, war die Desertec-Initiative beispielsweise nicht an die lokale Energiepolitik der Maghreb-Länder angebunden. Stattdessen förderte sie sogenannte Energieenklaven, weshalb anfängliche Bedenken und Vorwürfe des „Energiekolonialismus“ aus heutiger Sicht zutreffend erscheinen. Diese Kritik wurde seitens zivilgesellschaftlicher Akteure bereits kurz nach dem Start von Desertec in den 2000er Jahren artikuliert. Das spätere Scheitern des Projekts unterstreicht, dass sich in derartigen territorialen Ansprüchen neokoloniale Praxen offenbaren können.

Unter der neuen Ampelkoalition zeichnet sich ein umfassenderer Kooperationsansatz ab, der Energiediplomatie, Energieaußenpolitik, Entwicklungszusammenarbeit und nicht zuletzt die technische Zusammenarbeit miteinander verbindet. Da sich diese Perspektiven jedoch nicht immer spannungsfrei miteinander vereinbaren lassen, ist dieser dreiteilige Rahmen nicht frei von Konflikten. Er birgt dennoch im Hinblick auf Energiegerechtigkeit und eine gerechte Transition das Potenzial für eine engere deutsch-afrikanische Zusammenarbeit. Dafür erforderlich sind jedoch eine normengeleitete Energieaußenpolitik, die Entwicklung entsprechender panafrikanischer/deutscher Narrative und nicht zuletzt eine Abstimmung mit nationalen Übergangsplänen.

Reflexion: Trends in den energiepolitischen Beziehungen zwischen Deutschland und Afrika

Die energiepolitischen Beziehungen zwischen Deutschland und Afrika sind von einer Reihe teilweise widersprüchlicher Motivationen geprägt: Entwicklungszusammenarbeit, Diplomatie und nicht zuletzt Technologie. Am Energie/Entwicklungsnexus zielen Politiken v.a. darauf ab, Energiearmut zu bekämpfen, Investitionen in erneuerbare Energien zu fördern, und im Sinne des siebten Sustainable Development Goals einen fairen und zuverlässigen Zugang zu erneuerbaren Energien zu ermöglichen. Zweitens repräsentiert die Energiediplomatie strategische Interessen Deutschlands an afrikanischen Energieressourcen und gestaltet horizonatale Energiekooperationen, die sogenannten strategischen Partnerschaften. Das dritte Feld  ist das der technischen Zusammenarbeit, das im Rahmen der deutschen Wasserstoffstrategie gegenwärtig stark an Bedeutung gewinnt. Da Deutschland den Großteil seines Grünwasserstoffbedarfs im Globalen Süden, u.a. in Namibia zu produzieren beabsichtigt, bilden sich neue Wasserstoffpartnerschaften heraus, entlang denen ein Transfer von Technologie, Energiewissen und Power-to-X-Kraftstoffen möglich ist – voraussgesetzt natürlich, dass diese Partnerschaften die sprichwörtliche „Augenhöhe“ ernstnehmen. 

1. Entwicklungszusammenarbeit: Energiearmut bekämpfen oder Finanzialisierung priorisieren?

Die Zusammenarbeit am Energie/Entwicklungs-Nexus bildet bislang eine der Stärken des deutsch-afrikanischen Engagements. Die Förderung des Zugangs zu Energie und von intelligenten Stromnetzen und Heimsolarsystemen wird im Rahmen von Programmen der ländlichen Entwicklung vorangetrieben. Die Realisierung von Infrastrukturprojekten und die Bereitstellung strategischer Beratungskapazitäten sind wichtige Bestandteile des Portfolios der GIZ und der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW). In den letzten Jahren wurde die Finanzierung auf strategische Initiativen ausgeweitet, die überregional oder sogar städteübergreifend agieren. Sie umfassen Multi-Stakeholder-Partnerschaften wie Energising Development (EnDev) oder das Programm Globale Energiewende (GET.pro).

Auf der COP 26 gehörte die Bundesregierung zu den Initiatoren der Just Energy Transition Partnership. Diese Partnerschaft soll eine gerechte Transition in Ländern unterstützen, die in hohem Maße von fossilen Brennstoffen abhängig sind und deren politischer Spielraum für eine eigenständige Dekarbonisierung begrenzt ist. Solche Länder, wie zum Beispiel Nigeria, Angola, Mosambik, um nur ein paar zu nennen, sehen sich im Hinblick auf die Energiewende enormen Risiken ausgesetzt, die letztlich zu Einnahmeverlusten („Petrodollar“), politischer Instabilität und sozialem Niedergang führen können. Südafrika war das erste Partnerland, das 8,5 Mrd. USD erhielt, um sein Energiesystem zu dekarbonisieren, grüne Arbeitsplätze zu schaffen und einen reibungslosen Übergang zu einer grünen Wirtschaft abzusichern. Der Senegal, Indien, Vietnam und Indonesien werden die nächsten Partnerstaaten sein. Dieses Engagement ist ein weiterer Ausdruck des strategischen deutschen Interesses, sich an großangelegten Multi-Stakeholder-Initiativen zu beteiligen. Da solche Initiativen neben öffentlichen Akteuren vermehrt private Akteure einbeziehen, manifestiert sich hierbei aber auch ein Trend hin zur Finanzialisierung von Entwicklungsvorhaben.

Finanzialisierung bedeutet in diesem Zusammenhang, dass Projekte im Bereich der erneuerbaren Energien in erster Linie eine Rendite garantieren und marktfähig sein müssen, anstatt sich hauptsächlich auf entwicklungspolitische Ziele wie die Bekämpfung der Energiearmut oder die Schaffung von Arbeitsplätzen im Energiesektor zu konzentrieren. Das führt dazu, dass vornehmlich nur solche Energiewende-Projekte realisiert werden, die den Interessen von Investor*innen dienen, während Projekte in Konfliktregionen als zu riskant gelten, sodass Staaten wie Simbabwe oder die Demokratische Republik Kongo das Nachsehen haben. Um jedoch sicherzustellen, dass der Übergang von Kohle zu sauberer Energie den sozialen Bedürfnissen gerecht wird, muss eine Zusammenarbeit den Ansprüchen der Energiegerechtigkeit genügen und Verteilungsgerechtigkeit, Beteiligungsmöglichkeiten und Bedürfnisse vulnerabler Akteure beachten. Kleinprojekte wie die Initiative „Bürgerenergie für Afrika“ des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) spiegeln genau diese normativen Orientierungen wider, indem sie auf die Potenziale von Energiedemokratie und öffentlichem Eigentum in Afrika sowie auf Bürgerbeteiligung setzen. Dezentrale und kleine Projekte im Bereich der erneuerbaren Energien bieten die Möglichkeit, die Zivilgesellschaft zu stärken, da sie Wissens- und Technologietransfer ermöglichen, den Energiebedarf der Bevölkerung decken und sich leichter mit nationalen Initiativen zur Umsetzung der Energiewende in Einklang bringen lassen.

2. Energiediplomatie, Geopolitik und Energieaußenpolitik: Erneuerbare Energien versus fossile Brennstoffe

Die Energiediplomatie stützt sich auf drei normative Orientierungen: Versorgungssicherheit, Wettbewerbsfähigkeit und Nachhaltigkeit. Der Ukraine-Krieg und die diplomatischen Verstimmungen zwischen Deutschland und Russland haben die Energiesicherheit gefährdet. Die langjährige Abhängigkeit von russischem Gas hat zu Energieknappheit geführt, die in den letzten 15 Jahren aufgrund von Lock-in-Effekten bei der Infrastruktur sogar noch verstärkt wurde. Es überrascht daher kaum, dass die deutsche Energiediplomatie mit ihrem Ansinnen, zeitgleich sowohl Sicherheit als auch Nachhaltigkeit zu gewährleisten, die Energiekooperation mit afrikanischen Ländern und der MENA-Region (Naher Osten und Nordafrika) voranzutreiben versuchte. Die deutsch-afrikanische Energiediplomatie verfolgt somit zwei konkurrierende Interessen: zum einen eine gerechte Energietransition und zum anderen das geopolitische Interesse, fossile Brennstoffe zu erschließen und Versorgungslücken zu decken.

Einerseits äußert sich dies in der Motivation, im Rahmen der globalen Energietransition als zentraler Akteur in aufstrebenden Märkten für erneuerbare Energien, wie zum Beispiel in Kenia, Ägypten, Südafrika oder Namibia präsent zu sein. Diese Staaten bieten sowohl günstige geophysikalische Bedingungen als auch als attraktiv geltende politische Rahmenbedingungen, wie marktwirtschaftliche Instrumente (grüne Fonds, Energieauktionen usw.). Sichtbar ist dies in der industriellen Zusammenarbeit bei Solar- und Windparks nieder, etwa in Südafrika, als Shareholder und Geber für multilaterale grüne Fonds und in der Vergabe von Risikogarantien um privatwirtschaftliches grünes Investment in afrikanischen Energiemärkten attraktiver zu machen. Aus außenpolitischer Perspektive gesehen spiegeln diese Kooperationspraxen sowohl die Wettbewerbssituation auf grünen Energiemärkten als auch das Interesse wider, das Marktgeschehen über strategische Partnerschaften und Fintech-Ansätze zu regulieren. Jüngstes Beispiel dafür ist die Wasserstoffdiplomatie, die außenpolitischen Beziehungen im Wasserstoffsektor in spezifischer Weise ausbaut und öffentlich-privaten Kooperationen den Weg ebnet. Im Bereich der Kernenergie wird eine Zusammenarbeit hingegen aufgrund des deutschen Atomausstiegs nicht mehr favorisiert. Frühere Bestrebungen zum Export von Nukleartechnologie wurden eingestellt.

Fossile Interessen belaufen sich auf die Erschließung alternativer Öl- und Gasmärkte. Aufgrund der Energiekrise hat Deutschland seine fossilen Energiekooperationen diversifiziert und dabei auch eine senegalesische Kooperation aufgebaut, um Flüssigerdgas zu importieren und neue Terminals zu errichten. Der senegalesische Präsident Macky Sall begrüßte diesen Vorschlag umgehend. Allerdings bedeutet dies auch, dass sich fossile Abhängigkeiten vertiefen und Senegals Energietransition durch Pfadabhängikeiten erschweren. Deswegen haben sich senegalesische Umweltaktivist*innen gegen solche Pläne verwehrt .

3. Förderung von Wasserstoff: Zusammenarbeit „auf Augenhöhe“ oder schnelle afrikanische Lösung für deutsche Probleme?

Die neuen afrikanisch-deutschen Wasserstoffpartnerschaften sind ein brisantes Thema mit großer strategischer Bedeutung, das Konflikte wie auch Potentiale birgt.  In ihnen manifestiert sich Deutschlands Interesse, seine Stahlwerke und die Schwerindustrie mittels groß angelegter Wasserstoffimporte zu dekarbonisieren, und andererseits das Interesse, bei Wasserstofftechnologien eine führende Rolle zu übernehmen. Unter der früheren Bundesministerin für Bildung und Forschung Anja Karliczek wurden Kooperationen mit mehr als 25 Länder anvisiert. Die Auswahl der Länder erschien jedoch teilweise willkürlich und konfliktträchtig: Denn eine Energiekooperation mit Binnenländern und Ländern, die stark von Dürre und Wasserknappheit betroffen sind, wie Niger oder Burkina Faso, würde einen enormen Ausbau der Infrastruktur erfordern und würde Nutzungskonflikte um ohnehin schon knappe Wasserressourcen verschärfen. Geophysikalischen Potenzialen wie einer hoher Sonneneinstrahlung stehen oft ebenso hohe soziale und ökologische Risiken gegenüber, etwa unfaire Arbeitsbedingungen, Wasserknappheit oder Landraub. Dies umfasst Landnutzungsänderungen und illegitimen Landerwerb, erhöhte Wasserknappheit oder die Gefährdung von Meeresökosystemen durch große Entsalzungsanlagen.

In der gegenwärtigen Wasserstoffexpansion scheint damit auch eine gewisse technokratische Anspruchshaltung auf, die  Territorien im Globalen Süden als „Verfügungsräume“ betrachtet, die dazu dienen, Energiebedarfe des Globalen Nordens zu decken, sei es in Bezug auf Ressourcen oder die Anforderungen einer grünen Wirtschaft. Afrikanische Wasserstoffstrategien setzen andere Akzente und markieren energiepolitisches Selbstbewusstsein. So hat Südafrika Wasserstoff in seine eigene Dekarbonisierungsstrategie integriert, auch Marokko nutzt Wasserstoff für die eigene Wirtschaft wie auch für den Export und Namibia will Wasserstoff, synthetische Kraftstoffe und Düngemittel auf globaler und regionaler Ebene exportieren. Eine deutsch-afrikanische Wasserstoffpolitik muss diese unterschiedlichen Bedürfnisse berücksichtigen und die einzelnen Interessen in Einklang bringen.

Inzwischen zeichnet sich ein differenzierteres Bild in Bezug auf die wissenschaftliche Zusammenarbeit und die Wasserstoffdiplomatie ab. Im Bereich der wissenschaftlichen Zusammenarbeit gibt es die Forschungsprojekte WASCAL (West African Science Service Centre on Climate Change and Adapted Land Use) und SASCAL (South African Science Service Centre for Climate Change and Adaptive Land Management), die Pilotprojekte vorantreiben und Ausbildungen und Austauschprojekte für Student*innen mit deutschen Universitäten organisieren. Einige Absichtserklärungen, wie die zwischen Namibia und Deutschland, spiegeln ein gemeinsames Interesse an der Einhaltung der allgemeinen Menschenrechte sowie von Umwelt- und Sozialstandards wider, während andere Absichtserklärungen, wie die mit den Emiraten oder Saudi-Arabien, diese Aspekte vollkommen außer Acht lassen. 

Ein systemischer Ansatz, der es erleichtern würde, sozio-ökologische Belange, Bedürfnisse und gemeinsame Interessen integriert zu betrachten, ist die Wasserstoff-Wertschöpfungskette. Mit ihr ist ein erweitertes Verständnis der Wasserstoffproduktion verbunden, die über einen reinen Import-/Exporthandel hinaus als Produktionskette verstanden wird, entlang derer Werte geschaffen und Standards zertifiziert werden. Dieser Ansatz lässt Raum für  afrikanische Interessen, sichtbar etwa darin, dass Staaten wie Südafrika, Namibia oder Nigeria grünen Wasserstoff auch als ein panafrikanisches Gut betrachten, mit dem eigene Industrien dekarbonisiert werden und regionale Integration vertieft werden kann.

Politikempfehlungen

Die folgenden Empfehlungen können zu einem umfassenderen und gleichberechtigten Austausch beitragen und die deutsch-afrikanische Energiekooperation stärken.

Um die diplomatischen Interessen Deutschlands und Afrikas auszugleichen, ist die Suche nach gemeinsamen normativen Ansätzen sowie die Abkehr von traditionellen Import-Export-Dichotomien entscheidend. Energiewende und Dekarbonisierung müssen sich auf ein gemeinsames Verständnis stützen. Eine dringend benötigte normative Grundlage könnte durch die Verankerung von Energiegerechtigkeit als einer Standardklausel in bilateralen Absichtserklärungen (Memoranda of Understanding), als Anforderung entlang von Energiewertschöpfungsketten oder im Rahmen von Just Transition Partnerships geschaffen werden. Dies w+rde Aspekte wie Verteilungsgerechtigkeit (Zugang zu Energie), Verfahrensgerechtigkeit (wer ist beteiligt) und Anerkennungsgerechtigkeit (wessen Rechte werden erfüllt) umfassen, aber auch historischen Ungerechtigkeiten und epistemische Gerechtigkeit (wer besitzt das Know-how im Bereich Energie) einschließen. In dieser Hinsicht zeigt das neue Konzept der „Wasserstoff-Gerechtigkeit“ auf, wie diese Ziele im Rahmen neu entstehender Wasserstoff-Kooperationen erreicht werden können. Es würde zudem das Bewusstsein für neokoloniale Konzepte schärfen, die auch in den energiepolitischen Beziehungen immer wieder aufscheinen.

Darüber hinaus muss die Energiezusammenarbeit sicherstellen, dass der Wettbewerb um die Energiemärkte nicht zu einem „race to the bottom“ führt. Eine solche Abwärtsspirale geht auf Kosten von Sozial- und Umweltstandards und ist derzeit beispielsweise in der Konkurrenz um eine kostengünstige Wasserstoffproduktion zwischen Angola und Namibia zu beobachten. Die Wertschöpfungskette im Energiesektor und das Prinzip der Wasserstoffgerechtigkeit können eine deutsch-afrikanische Energiekooperation stärken, die über das alte Import-/Export-Denken hinausgeht. Hierbei würden eine regionale Integration und die Anwendung des Lieferkettengesetzes garantieren, dass die gesamte panafrikanische Region stärker davon profitiert. Konkret sollte sich das in einem Zertifikat für fairen grünen Wasserstoff und in gemeinsamen Standards für die gesamte Wasserstoff-Wertschöpfungskette niederschlagen.

Über die Autorin
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Franziska Müller ist Juniorprofessorin für Globalisierung und Governance der Klimapolitik an der Universität Hamburg. Sie forscht in den Bereichen globale Klima- und Energiepolitik, politische Ökonomie des Energiesektors, politische Ökologie sowie zu postkolonialen und poststrukturalistischen Theorien in internationalen Beziehungen. Franziska ist ehrenamtlich als Referentin für die Heinrich-Böll-Stiftung tätig. Sie hat Politikwissenschaft, Kulturanthropologie und Wirtschaftswissenschaften in Tübingen, Frankfurt und Birmingham studiert und hatte Lehraufträge in Pretoria, Kassel und Cape Coast.

APRI als Institution äußert sich nicht zu politischen Fragen. Die in den Veröffentlichungen zum Ausdruck gebrachten Ansichten sind die der Autor*innen und spiegeln nicht unbedingt die Ansichten von APRI, seiner Mitarbeitenden oder seines Vorstands wider.

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