Nullsummenspiel? Wie sich Afrika den Wettstreit der Großmächte zunutze machen könnte

In diesem Artikel werden afrikanische Regierungen dazu angehalten, sich (insbesondere im Kontext der Rivalität zwischen der USA und China) nicht auf ein Nullsummenspiel einzulassen und Strategien anzuwenden, um die Rivalität der beiden Mächte zum eigenen Vorteil auszunutzen und dadurch eigene politische Zielsetzungen umsetzen zu können.

Nullsummenspiel? Wie sich Afrika den Wettstreit der Großmächte zunutze machen könnte
Unter Folashadé Soulé
Published on Okt 25, 2021

Der geopolitische Wettbewerb zwischen den USA und China gerät immer mehr in den Fokus der Weltpolitik. Wachsende Spannungen und die Rivalität der beiden Mächte werden in unterschiedlichen Regionen des Globus ausgetragen: in Südostasien, dem Indopazifik, in den Golfstaaten, in Lateinamerika und in Afrika. US-Präsident Biden hat die Eindämmung des chinesischen Einflusses zu einem der strategischen Schwerpunkte seiner Außenpolitik erklärt, und dieser Wettstreit wird derzeit auf afrikanischem Boden ausgetragen. Diese Tatsache ist vielfach belegt, wenngleich manche ihre Bedeutung für überhöht halten. Nichtsdestotrotz lohnt es sich, einen Blick darauf zu werfen, wie der globale Süden diese Konstellation möglicherweise zu seinem Vorteil nutzen könnte. In diesem Text sollen Wege aufgezeigt werden, wie afrikanische Regierungen sich diesen Wettstreit zwischen fremden Mächten zunutze machen und sogar davon profitieren können. Durch eine Verschiebung des Fokus auf die Strategien afrikanischer Regierungen lässt sich leichter erkennen, wie diese eine aktive Rolle in den Beziehungen zu den beiden Rivalen einnehmen können. Konkret geht es in diesem Text darum, afrikanische Regierungen aufzufordern, sich (insbesondere im Kontext der Rivalität zwischen der USA und China) nicht auf ein Nullsummenspiel einzulassen und Strategien anzuwenden, um die Rivalität der beiden Mächte zum eigenen Vorteil auszunutzen und dadurch eigene politische Zielsetzungen umsetzen zu können.

Es muss kein Nullsummenspiel bleiben

Chinas Afrikapolitik wird bei Treffen von US-Vertreter*innen mit ihren afrikanischen Gegenparts häufig als Schreckensbild an die Wand gemalt. Sowohl republikanische als auch demokratische Außenminister*innen warnen bei offiziellen Besuchen vor den Gefahren, die von China ausgingen. Stets betonen sie mit Nachdruck, dass sich afrikanische Regierungen vor der wirtschaftlichen Aggressivität Chinas, seiner fehlenden Moral und seinen neokolonialen Bestrebungen in Acht nehmen müssten. Klar zutage trat diese Rhetorik, als Hillary Clinton während ihrer Amtszeit als Außenministerin 2010/2011 ihre Bedenken hinsichtlich China zum Ausdruck brachte. 2020, als Mike Pompeo das Amt innehatte, verwies dieser ebenfalls indirekt auf China und Russland, als er afrikanische Regierungen vor den Versprechungen autoritärer Regimes warnte, die zu Abhängigkeit, Korruption, Schulden und Instabilität auf dem Kontinent führen würden.

Führende afrikanische Politiker*innen haben es abgelehnt, zum Spielball einer Proxy-Rivalität zu werden, und verlautbart, dass ihre strategische Priorität auf einer Diversifizierung ihrer Partner liege. Dem Weltinvestitionsbericht der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (UNCTAD) von 2021 zufolge, war China für Afrika im Zeitraum 2015 bis 2019 die viertgrößte Quelle für Direktinvestitionen, und zwar nach den Niederlanden, Großbritannien und Frankreich. Von 35 Milliarden US-Dollar im Jahr 2015 stiegen die chinesischen Investitionen bis 2019 auf 44 Milliarden US-Dollar. Doch es gibt auch Beobachter*innen, die die von afrikanischen Regierungen bevorzugte Position der Neutralität als unzureichend betrachten. Andere haben darauf hingewiesen, dass der Bau von Verwaltungsgebäuden mit staatlichen Mitteln aus China, wie etwa das für das kenianische Außenministerium zu errichtende Gebäude, das Land in ein schlechtes Licht rücken und die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten beeinträchtigen könnte. Dem liegt vor allem die Sorge zugrunde, dass während der Bauphase Abhöreinrichtungen installiert werden könnten, nachdem bereits in der Zentrale der Afrikanischen Union, die von China gestiftet worden war, Überwachungstechnik gefunden wurde. Es gibt gewiss gute Gründe, hinsichtlich möglicher verdeckter Überwachung transparent und wachsam zu sein, zumal diese Herangehensweise dazu dienen könnte, US-Sorgen zu zerstreuen. Doch würden afrikanische Regierungen diesem Ratschlag folgen, um sich nicht in die Rivalität der Großmächte zu verstricken, könnte dieses Vorgehen gleichzeitig dazu führen, dass sich ihre Strategien auf ein Nullsummenspiel reduzieren, bei dem sich Verluste und Gewinne gegenseitig die Waage halten.

Die afrikanischen Volkswirtschaften durchleben derzeit eine Krise im Zuge der Corona-Pandemie. Zu ihrer Überwindung bedürfen sie der Unterstützung durch unterschiedliche Partner und sie wären deswegen gut beraten, die Chancen zu ergreifen, die sich aus der Rivalität der Großmächte ergeben. Wie Branko Milanovic dargelegt hat, können jene, die bereits von der Feindschaft zwischen den USA und der Sowjetunion profitiert haben, dasselbe auch im Fall der USA und China tun. Für Entwicklungsländer sollte dieser Wettstreit als etwas Positives begriffen werden. Denn wenn die USA und China miteinander um die Unterstützung afrikanischer Staaten buhlen, können diese die Rivalität ausnutzen, um mehr Ressourcen für sich herauszuschlagen (Investitionsströme, Entwicklungshilfe, Infrastrukturförderung und vorteilhaftere Handelsabkommen), und auf diese Weise ihre Wirtschaft stärken und die Armut im Land reduzieren.

Einen Rivalen gegen den anderen ausspielen

Bei Analysen geopolitischer Rivalitäten liegt der Fokus für gewöhnlich darauf, wie China und Russland an afrikanische Länder herantreten – bisher traditionelle Partner Europas und der USA –, ohne das zunehmende Vordringen von Schwellenländern wie Indien, der Türkei oder der Vereinigten Arabischen Emirate im Blick zu haben. Die Tatsache, dass letztere Partner vermehrt Botschaften auf dem gesamten Kontinent eröffnet haben, hat eine dynamische Wirtschaftsdiplomatie hervorgerufen, die den jeweiligen Interessengruppen im eigenen Land neue Zugänge in den Bereichen Märkte und Infrastruktur eröffnen soll. Indische und türkische Firmen konkurrieren mit chinesischen Unternehmen um Aufträge im afrikanischen Bergbaubereich, aus denen die jeweiligen afrikanischen Länder viel Kapital schlagen könnten, wenn sie die Verhandlungen entsprechend führen. Der Wettstreit zwischen China und Russland findet hauptsächlich im Bergbausektor von Guinea statt. Als erfolgreiche Taktik erwies sich dort, beide Parteien gegeneinander auszuspielen. Denn die chinesische Delegation zeigte sich deutlich aufgeschlossener, die Bestimmungen im Vertrag zu überarbeiten und den Forderungen der Regierung von Guinea zu entsprechen, als diese die „russische Karte“ einsetzte.

Diese Strategie, sich die Rivalität zwischen zweien zunutze zu machen, gereichte auch Äthiopien zum Vorteil, als es 2021 beim „Deal des Jahrhunderts“ um die Ausschreibung seiner ersten Telekommunikationslizenzen ging. Indem sie von der zukünftigen Betreibergesellschaft verlangte, entweder eigene Installationen zu errichten oder sie vom Staatsunternehmen (Ethio Telecom) anzumieten, statt Infrastruktur von Drittanbietern zu nutzen, gelang es der äthiopischen Regierung, die Angebote auf solche zu reduzieren, die dem nationalen Interesse entsprachen. Im Anschluss konnte sie derart Einfluss auf die finalen Angebote des von China unterstützten MTN-Konsortiums und des US-gestützten Safaricom-Vodafone-Konzerns nehmen, dass der letztendliche Zuschlag an das US-Unternehmen im Wert von 850 Millionen US-Dollar an Bestimmungen zur Schaffung neuer Infrastruktur sowie von Arbeitsplätzen geknüpft war.

Integrierte Maßnahmen und Strategien umsetzen

Afrikanische Regierungen sollten abwägen, wie sich die Angebote unterschiedlicher Bieter am besten mit ihren nationalen Entwicklungsprioritäten in Einklang bringen lassen. Kandeh Yumkellah, Entwicklungsökonom aus Sierra Leone und ehemaliger Vorsitzender der Organisation der Vereinten Nationen für industrielle Entwicklung, drückte es folgendermaßen aus: „Afrika benötigt alle Partner. Wir müssen clever und vielseitig sein und uns für das entscheiden, was im Moment und im jeweiligen Kontext am besten passt.“

Meiner Meinung nach sind für dieses Ziel fünf zentrale Maßnahmen erforderlich: Erstens müssen wir die Mentalität ablegen, Angebote anzunehmen, die opportunistisch und nur auf kurze Sicht ausgelegt sind. Darlehen, Beihilfen und Spenden sollten den nationalen Entwicklungsplänen afrikanischer Länder entsprechen und in Projekte münden, die den Lebensstandard der Menschen direkt verbessern.

Zweitens sollten die Maßnahmen afrikanischer Regierungen integrierter und umfassender angelegt sein. Senegal verabschiedete beispielsweise einen integrierten strategischen Plan (Plan Emergent Senegal), der auch sektorenspezifische Prioritäten enthält, die vom Bureau de Prospective Economique (dt. etwa: Büro für wirtschaftliche Aussichten) festgelegt werden, das dem Präsidialamt unterstellt ist. Das Personal des Büros trifft eine Auswahl darüber, welche ausländischen Partner am ehesten in der Lage sein werden, diese Prioritäten auch umzusetzen. Da Senegal seine Partner im Rahmen eines selektiven und strategischen Prozesses diversifizierte, wurde es unabhängiger von den alten Partnerschaften mit Frankreich, aber auch von den neueren Partnerschaften mit China.

Drittens wird dieser Wettstreit auch in anderen Weltteilen ausgetragen, etwa in Lateinamerika oder in Südostasien. Afrikanische Regierungen sollten genau beobachten, welche Strategien diese Regionen verfolgen und mit welchem Ergebnis, um daraus entsprechende Lehren für eine Optimierung der eigenen Strategien zu ziehen

Viertens bedarf eine kohärente Strategie eines Verwaltungsapparats, der adäquat mit China, Russland, der Türkei und Indien umgehen kann. Das schließt den Aufbau eines eigenen Pools von Fachleuten ein, die wissen, wie diese Länder operieren, und die ihre Kulturen und Sprachen kennen. Kurzfristig können afrikanische Regierungen zu diesem Zweck auf Afrikaner*innen zurückgreifen, die früher in diesen Ländern studiert haben und mit ihrer Expertise und ihren Sprachkenntnissen einen Beitrag leisten können. Längerfristig könnten in lokalen afrikanischen Universitäten angesiedelte dezidierte Forschungszentren zu diesen Ländern zu einer verbesserten lokalen Wissensproduktion führen und Fachwissen für afrikanische Regierungen generieren.

Fünftens und letztens sollten afrikanische Regierungen das Beste aus beiden Welten herausholen, indem sie Projekte gemeinsam mit mehreren alten und neuen Partnern durchführen, wie im Fall der Infrastrukturprojekte, die von chinesischen und französischen Unternehmen gemeinsam ausgeführt werden. Die Überwindung von Rivalitäten durch verschiedene Formen der Zusammenarbeit kann dazu beitragen, dass zusätzliche Finanzquellen angezapft und doppelt geplante Projekte vermieden werden. Darüber hinaus sollten afrikanische Regierungen auch die Meinung ihrer Bürger*innen zu diesem Thema einbeziehen. Einer aktuellen Umfrage des Afrobarometers zufolge, die zwischen 2019 und Mitte 2021 in 34 Ländern durchgeführt wurde, sehen 62 Prozent der Befragten den chinesischen Einfluss in Afrika als positiv an, während ein ähnlich hoher Anteil von 60 Prozent dies im Fall der USA zu Protokoll gab. Aus diesen Ergebnissen lässt sich ablesen, dass die Rivalität zwischen USA und China für die Allgemeinheit der afrikanischen Bürger*innen womöglich kein Entweder-Oder-Problem darstellt, sondern eher eine Win-Win-Situation. Es ist an den afrikanischen Regierungen, solche Rivalitäten für sich gewinnbringend zu nutzen.

Über die Autorin

Dr Folashadé Soulé ist leitende Forschungsmitarbeiterin am „Global Economic Governance“-Programm (Blavatnik School of Government) an der University of Oxford. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören die afrikanisch-chinesischen Beziehungen und Verhandlungen, die Untersuchung afrikanischer Initiativen im Bereich der internationalen Beziehungen sowie die politische Dimension der Süd-Süd-Kooperation.

APRI als Institution äußert sich nicht zu politischen Fragen. Die in den Veröffentlichungen zum Ausdruck gebrachten Ansichten sind die der Autor*innen und spiegeln nicht unbedingt die Ansichten von APRI, seiner Mitarbeitenden oder seines Vorstands wider.

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