Afrikanischen Ansätzen einen Platz in den afrikanisch-europäischen Beziehungen einzuräumen, ist von essenzieller Bedeutung, wenn diese Partnerschaft wirklich reifen soll.

Plädoyer für eine zweckmäßige EU-AU-Politik
© Unsplash
Dateien:
Einführung

„Wir müssen die Frage, ob [wir als Afrikaner] genau das bekommen, was wir uns wünschen, ein wenig konkreter, ein wenig analytischer betrachten. Ich beobachte viele Debatten zu Migration und Mobilität, bei denen immer mitschwingt, dass wir als afrikanische Staaten eine Verantwortung dafür hätten, zu verhindern, dass junge und andere Menschen aus Afrika den Kontinent verlassen. Menschen sind jedoch auf der Suche nach Chancen. Wofür wir also in der Partnerschaft sorgen müssen, ist sicher[zu]stellen, dass wir, in Afrika, Chancen ermöglichen, dass wir eine Reindustrialisierung schaffen, damit unsere jungen Menschen reale Chancen haben […]. Wenn unsere Partnerschaft nicht diese Form einer ökonomischen Transformation hervorbringt, dann, so denke ich, greifen unsere Bemühungen noch zu kurz.“

Das waren die Worte der südafrikanischen Außenministerin Naledi Pandor am Rande des AU-EU-Ministertreffens in Kigali am 26. Oktober 2021.

Die Aufforderung, bei dieser Partnerschaft auch afrikanische Interessen zu berücksichtigen, geht auf die Idee eines „Paradigmenwechsels“ zurück. Führende Vertreter*innen beider Kontinente schlugen dieses Prinzip bei einem Treffen in Abidjan im Jahr 2017 als Grundlage einer Neuausrichtung der Partnerschaft zwischen Afrika und Europa vor. Der Paradigmenwechsel sollte eine neue Ära einleiten, in der die Entwicklungshilfe nicht länger bestimmender Faktor der Beziehung sein und in der man den großen Wert anerkennen sollte, den Afrika mit an den Verhandlungstisch bringt.

Der angestrebte Paradigmenwechsel sieht darüber hinaus einen beidseitigen Dialog vor – statt einer vornehmlich von der EU dominierten Top-Down-Beziehung. Seit diesem Treffen haben afrikanische Führungskräfte, Fachleute und die Zivilgesellschaft verschiedene Wege skizziert, wie dieses ambitionierte Ziel unter Zuarbeit beider Kontinente erreicht werden könnte.

Wir haben afrikanische Vordenker*innen aus Think Tanks, Zivilgesellschaft und unabhängigen Stiftungen, die jahrelang zu den afrikanisch-europäischen Beziehungen gearbeitet haben, dazu eingeladen, ihre Eindrücke und Analysen mit uns zu teilen. Die Texte, aus denen sich dieses Dossier speist, entstammen den unterschiedlichsten Bereichen: Klimawandel, Technologie, digitale Besteuerung, Migration und Handel.

Beim Klimawandel lässt sich konstatieren, dass sich Afrika als Kontinent, der am wenigsten zur aktuellen Krise beigetragen hat, den schwerwiegendsten Folgen ausgesetzt sieht. Gleichzeitig sind in Afrika einige der natürlichen Ressourcen zu finden, die benötigt werden, um die Energiewende zu meistern und uns von den unheilvollen fossilen Brennstoffen zu verabschieden, die das Problem erst verursacht haben. Europa braucht diese Mineralien, um seine eigene Energiewende zu vollziehen. Afrika wiederum muss sicherstellen, dass es seine Wirtschaft industrialisiert, Arbeitsplätze schafft und Tausend andere Herausforderungen bewältigt, die die Klimakrise dem Kontinent vor die Füße wirft. Nicht zuletzt möchte Afrika die Bedingungen, unter denen der Kontinent zu den weltweiten Dekarbonisierungsbemühungen beiträgt, selbst bestimmen. Bisher fehlt es afrikanischen Ländern an den dafür erforderlichen Mitteln. Sollte die afrikanische Wirtschaft dann auch noch wachsen, könnte es ihr am Ende an den Ressourcen mangeln, die sie für die eigene Dekarbonisierung benötigt.

In seiner Analyse kritisiert Saliem Fakir die Dichotomie zwischen Anpassungsmaßnahmen (für den globalen Süden) und Eindämmungsmaßnahmen (für den globalen Norden). Praktische Erfahrungen im globalen Süden wie im globalen Norden haben gezeigt, dass diese eingeschränkte Sicht nicht greift. Afrika sollte sich keinesfalls mit Anpassungsmaßnahmen abspeisen lassen. Und Europa sollte nicht dem Mangel an Vorstellungskraft anheimfallen, der zu einem Zustand aus Schock und Überraschung führte, als die Überschwemmungen von 2021 den Kontinent unvorbereitet trafen. Wenn es etwas gibt, dass die Krise zu bieten hat, dann die Möglichkeit Lösungen zu erdenken, die das extraktive Modell hinter sich lassen und den Kampf gegen den Klimawandel als Teil einer größeren Veränderung hin zu einer vollständigen Transformation der afrikanischen Volkswirtschaften begreift. Und das umfasst auch, so darf ebenfalls angemerkt sein, eine Transformation der Lebensstile und Verbrauchsmuster in Europa.

Wichtiger aber noch: Saliem Fakir ruft uns alle dazu auf, uns Gedanken zum Umgang mit der Klimakrise zu machen, und zwar ausgehend von einem gesamtwirtschaftlichen Ansatz. Europa verfügt bereits über eine Roadmap, die einen entsprechenden Ansatz verfolgt: den Europäischen Grünen Deal. Gibt es vielleicht die Möglichkeit, dass ein Kontinent, der auf eine lange Geschichte hoher Emissionen zurückblickt, mit dem Kontinent zusammenarbeitet, der diesbezüglich die wenigsten Emissionen zu verantworten hat?

Ottilia Maunganidze widmet sich dem Thema der Migration, ein Thema, das in bestimmten Teilen Europas heftige Reaktionen hervorruft. Und doch bleibt zu konstatieren, dass 80 Prozent der afrikanischen Migration innerhalb Afrikas stattfindet. Angesichts der Unsummen, die die EU ausgibt, um afrikanische Regierungen davon zu überzeugen, ihre Grenzen stärker zu schützen, während sie gleichzeitig die eigenen Binnengrenzen aufgehoben hat, mag die irrige Annahme entschuldigt sein, wonach sich 80 Prozent der Menschen in Afrika auf dem Weg nach Europa befänden. Klar ist jedoch, dass das Absichern afrikanischer Grenzen in manchen Fällen jahrhundertealte innerafrikanische Migrationsbewegungen negativ beeinflusst hat.

Gleichzeitig ist es allerdings so, dass Europa gelernte und ungelernte Arbeitsmigrant*innen braucht. In einem Interview vom August 2021 erklärte der damalige Vorstandvorsitzender der Bundesagentur für Arbeit, dass Deutschland jedes Jahr 400.000 Zuwander*innen brauche, um die Lücken im Arbeitsmarkt zu füllen, was mehr als dem Doppelten der aktuellen Nettozuwanderung entspricht.

Ottilia Maunganidze erwähnt vier zentrale Bereiche, die als Grundlage dafür dienen könnten, wie sich beide Kontinente dem Thema Migration nähern könnten: legale Zuwanderungsoptionen, ein Fokus auf wirtschaftliche Entwicklung, die Kooperation zum internationalen Schutz (von Geflüchteten) sowie eine bessere Zusammenarbeit in den Bereichen Rückkehr, Rückübernahme und Wiedereingliederung. Besonders beim Thema Wiedereingliederung hat die EU bislang einen Fokus auf die Prinzipien der Sicherheit und der grundlegenden Menschenwürde jedoch vermissen lassen. Ottilia Maunganidze zufolge stellen dieser vier Themen die zentralen Säulen für einen neuen partnerschaftlichen Ansatz im Bereich der Migration dar.

Zum Thema Technologie geht Neema Iyer der Frage nach, wie es um Europas Beziehung zu Afrika im digitalen Bereich steht, während Ruth Wamuyu sich einem spezielleren Thema widmet. Sie untersucht unter anderem die Bemühungen sowohl in Afrika als auch in Europa, multinationale Tech-Unternehmen zu besteuern.

Obgleich es in der EU keine Tech-Riesen gibt – oder vielleicht gerade deswegen –, hat sie die Rolle einer globalen digitalen Regulierungsbehörde übernommen. Im Rahmen dieser Rolle ist sie bestrebt, den Handlungsspielraum von Tech-Unternehmen nach eigenen Vorstellungen zu formen, indem sie Standards dazu setzt, wie andere Länder ihren Tech-Sektor zu regulieren haben. Ein Beispiel dafür ist die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO), die EU-Datenschutzrichtlinie. Sie diente als Vorlage für ähnliche Richtlinien in Brasilien, Australien und dem US-amerikanischen Bundesstaat Kalifornien. Darüber hinaus muss jedoch jedes Unternehmen, das Zugang zur Euro-Zone mit ihrem BIP von 145 Billiarden – und damit einem Sechstel der Weltwirtschaft – erhalten will, den Regeln der EU folgen.

Obwohl die EU der größte Handels- und Investitionspartner Afrikas ist, liegt sie bei den Investitionen in den digitalen Sektor Afrikas deutlich hinter China und den Vereinigten Staaten zurück. Der Analyse von Neema Iyer zufolge scheint es der EU hauptsächlich darum zu gehen, dass Afrika bestimmte Richtlinien in diesem Bereich übernimmt. Neema Iyer rät dabei jedoch zur Vorsicht, da Richtlinien, die für Europa geeignet sind, nicht unbedingt afrikanischen Gegebenheiten dienen. Dasselbe gilt im Übrigen auch für die sehr lockeren Richtlinien in den USA, die für afrikanische Länder alles andere als ideal sind. Stattdessen spricht sie sich dafür aus, ausländische Direktinvestitionen in den digitalen Sektor Afrikas deutlich auszuweiten und direkte Verbindungen zum europäischen Binnenmarkt zu schaffen. Selbst wenn der größte Teil dieser Investitionen aus der EU stammt, entspricht dieses Volumen gerade einmal 2,7 Prozent der Gesamtinvestitionen von in der EU ansässigen Bürger*innen. Es gibt also noch Luft nach oben.

Ein Bereich, in dem es der EU bislang schwerfällt, zu einer politischen Lösung zu gelangen, ist die Frage der Besteuerung multinationaler Unternehmen. Die größten Steuereinnahmen würden dabei aus großen Tech-Unternehmen erzielt, die nicht aus Europa stammen. Im Rahmen der OECD arbeiten verschiedene Länder an einem eindeutigen Konzept zur Besteuerung solcher Unternehmen. Ruth Wamuyu beschreibt den entsprechenden Prozess im Detail und geht auch auf die dazu geäußerten Bedenken politischer Entscheidungsträger*innen in Afrika ein. Sie zeigt zudem auf, dass dies sowohl für die EU als auch für Afrika eine Gelegenheit zur Zusammenarbeit in einem Bereich darstellt, der zwar beide betrifft, üblicherweise in der EU-Afrika-Partnerschaft jedoch unberücksichtigt bleiben würde. Mit einer entsprechenden Zusammenarbeit könnte die EU sogar den guten Willen seiner Partner fördern.

Im letzten Text dieses Dossiers wirft Cheikh TIdiane Dieye einen kritischen Blick auf die wichtigste Säule der Beziehungen zwischen beiden Kontinenten – dem Handel. Denn alles begann mit Handelsbeziehungen als Überbleibsel früherer Kolonialzeiten. Nachdem Europa Afrika damals eine Reihe von Handelsbeschränkungen auferlegte, haben wir heute ein Flickenteppich unterschiedlicher Handelsbeziehungen auf Grundlage von Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (WPA). Solche Abkommen abzuschließen, betrachtet Cheikh TIdiane Dieye als Liberalisierungsagenda außerhalb der Reichweite der am wenigsten entwickelten Länder (least developed countries, LDCs) in Afrika. Obgleich WPAs ursprünglich als Mittel propagiert wurden, die Afrikas Integration zugutekommen würden, schaffen sie heute oftmals Probleme, die die regionale Integration in Afrika torpedieren. Das schließt auch das bis dato ambitionierteste afrikanische Integrationsprojekt mit ein, das afrikanische Freihandelsabkommen AfCFTA (African Continental Free Trade Agreement).

Beim AfCFTA zieht ganz Afrika an einem Strang, sowohl nördlich als auch südlich der Sahara. Bei Diskussionen zu den Handelsbeziehungen zwischen der EU und Afrika wird häufig unterschlagen, dass die EU den Norden Afrikas gänzlich anders behandelt als den Süden. Cheikh TIdiane Dieye analysiert diese Situation und ruft die EU dazu auf, ihre paternalistische Haltung gegenüber Afrika aufzugeben und sich stattdessen als echter Handelspartner zu präsentieren.

Afrikanischen Ansätzen einen Platz in den afrikanisch-europäischen Beziehungen einzuräumen, ist von essenzieller Bedeutung, wenn diese Partnerschaft wirklich reifen soll. Ebenso wichtig ist es, afrikanischen Ideen und Analysen eine größere Sichtbarkeit zu verleihen, selbst wenn diese kritisch ausfallen. Wir möchten allen Autor*innen danken, die sich die Zeit genommen haben, zu diesem längst überfälligen Dossier beizutragen.

Über die Herausgeber*innen

Dr. Olumide Abimbola ist Geschäftsführer des Africa Policy Research Institute (APRI), einem in Berlin ansässigen Think Tank. Zuvor war er bei der Afrikanischen Entwicklungsbank zu den Themen Handel und regionale Integration tätig sowie bei der deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) im Bereich der Governance natürlicher Ressourcen.

Faten Aggad ist Spezialist für die Beziehungen zwischen Afrika und Europa. Sie war in verschiedenen Funktionen tätig, unter anderem als hochrangige Beraterin des Hohen Vertreters der AU für die Beziehungen zur Europäischen Union. Sie sitzt im Beirat des South African Journal of International Affairs sowie im Board of Changes for Humanity.

APRI als Institution äußert sich nicht zu politischen Fragen. Die in den Veröffentlichungen zum Ausdruck gebrachten Ansichten sind die der Autor*innen und spiegeln nicht unbedingt die Ansichten von APRI, seiner Mitarbeitenden oder seines Vorstands wider.

Cookies on APRI Sites

Wir verwenden Cookies und Tools von Drittanbietern, um Ihre Erfahrung auf unserer Website zu verbessern. Indem Sie die Website weiter durchsuchen, stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu. Bitte lesen Sie unsere Datenschutzrichtlinie für weitere Einzelheiten .

Accept & Continue