Der Europäische Green Deal und die Staaten Afrikas

Der Green Deal der europäischen Kommission bildet den Fahrplan für einen sozioökologischen und wirtschaftlichen Wandel der EU hin zu einer klimaneutralen Zukunft. Die Auswirkungen des Green Deals sind vielschichtig. Unter anderem bietet er die Chance, die Beziehung zwischen der EU und Afrika zu erneuern und zu verbessern - sofern jetzt die richtigen Schritte gemacht werden.

Der Europäische Green Deal und die Staaten Afrikas
Windmill Sunset. David Ingram. CC BY-NC-4.0
Einleitung

Die Europäische Kommission hat am 14. Juli 2021 eine Reihe von vorläufigen Vorschlägen angenommen, mit deren Hilfe bis 2030 der Ausstoß von klimaschädlichen Gasen um 55 Prozent gegenüber dem Stand von 1990 verringert werden soll. Sie sind ein Bestandteil eines umfassenderen Europäischen Green Deal (EGD). Der EGD steht im Kern der europäischen Klimastrategie und bündelt langfristige, politische Maßnahmen der Europäischen Union (EU), um bis 2050 sowohl klimaneutral als auch zu einem Vorreiter in der internationalen Klimapolitik zu werden. Der EGD weist somit den Weg für die sozialökologische Transformation zu einer kohlenstroffarmen Zukunft und beschreibt gleichzeitig eine grüne Wachstumsstrategie. Die Auswirkungen des EGD auf afrikanische Staaten sind unterschiedlicher Natur – sie betreffen die Landwirtschaft und die Biodiversität, aber auch die Entwicklung neuer Technologien und den Finanzsektor. Dieses Briefing stellt den ersten Entwurf einer umfassenden Analyse dieser Auswirkungen dar.

Sieben Folgen für afrikanische Staaten

Wir benennen die Folgen des EGD für afrikanische Staaten in den folgenden sieben Themenfeldern: Landwirtschaft, Biodiversität, Energie, kritische Rohstoffe, Kreislaufwirtschaft, neue Technologien und Kreditvergabe.

  1. Neue landwirtschaftliche Standards. Als Teil ihrer „Farm to Fork“-Strategie bemüht sich die EU darum, führend bei der Erarbeitung globaler nachhaltiger Ernährungsstandards zu werden. Sollte die Einhaltung dieser Standards eine Voraussetzung für den Zugang zum europäischen Markt werden, könnte dies zusätzliche zollfremde Handelsbarrieren für afrikanische Exporte in die EU zur Folge haben. Eine Partnerschaft Afrikas mit der EU könnte dazu beitragen, agroökologische Herausforderungen zu bewältigen.
  2. EU-Afrika-Biodiversitätsstrategie. NaturAfrica ist die Biodiversitätsstrategie des EGD, um Wildtiere und Ökosysteme zu schützen, wirtschaftliche Chancen in grünen Sektoren für die lokale Bevölkerung zu schaffen und den Schutz der Biodiversität stärker an Indigene Gemeinschaften anzubinden. Wenn Europa NaturAfrica erfolgreich konzipieren und umsetzen will, müssen Menschenrechtsverletzungen und Landraub bekämpft werden, die häufig mit Naturschutzinitiativen einhergehen. Die Initiative kann bestehende Programme ergänzen, wie etwa die Panafrikanische Agenda für die Wiederherstellung von Ökosystemen zur Steigerung der Resilienz.
  3. Nachfrage nach fossilen Brennstoffen in Richtung sauberer Energie lenken. Die Energiestrategie des EGD zielt auf eine Sicherung bezahlbarer Energieversorgung, einen höheren Anteil sauberer Energie und einem Ersatz für fossile Brennstoffe in dem noch zu sehr auf Kohlenwasserstoffen basierenden Energie-Mix. Sollte es der EU gelingen, bis 2050 vollständig auf Rohöl zu verzichten, könnte dies vor allem ab 2030 zu einer sinkenden Nachfrage nach Öl und fallenden Preisen für afrikanische Anbieter führen. Der Verzicht auf fossile Brennstoffe führt bereits jetzt zu einem Rückgang bei den vorgelagerten Investitionen von europäischen Entwicklungsinstitutionen, Gebern von konzessionären Krediten und privaten Geldgebern für fossile Projekte in afrikanischen Staaten. Europas Pläne, übergangsweise dekarbonisierte Gase zu nutzen, könnte kurzfristig Chancen für afrikanische Gasproduzenten eröffnen. Im Zusammenhang mit der steigenden Nachfrage nach grünem Wasserstoff, bildet die European Clean Hydrogen Wasserstoffpartnerschaften mit afrikanischen Staaten, die bis 2030 für den Import von 40 Gigawatt grünem Wasserstoff aus Nicht-EU-Staaten sorgen sollen.
  4. Wachsende Nachfrage nach kritischen Rohstoffen. Die kohlenstoffarmen Energiestrategien, die im EGD angepeilt werden, erfordern die Verfügbarkeit kritischer Rohstoffe (CRM), die für die Produktion von grünen Technologien und grünen Energieträgern notwendig sind. Es wird vorhergesagt, dass der Verbrauch dieser CRMs bis 2030 bei Graphit auf das Vierfache, bei Kobalt auf das Fünffache und bei Lithium auf das 18-fache steigen wird. Bis 2050 wird dreizehnmal so viel Graphit, vierzehnmal so viel Kobalt und die 60-fache Menge Lithium benötigt. Derzeit bezieht die EU 20 Prozent ihres Baryt-Bedarfs aus Marokko, 64 Prozent des Bauxits aus Guinea, 68 Prozent des Kobalts und 36 Prozent des Tantals aus der Demokratischen Republik Kongo und etwa 90 Prozent der Platin-Gruppen-Elemente (PGM) aus Südafrika. Andere Länder wie Ghana, Sambia und Simbabwe könnten ebenfalls Kupfer, PGM und Bauxit nach Europa liefern. Die prognostizierte Nachfrage nach kritischen Rohstoffen schafft afrikanischen Staaten die Möglichkeit, asiatische Lieferketten zu ersetzen. Allerdings birgt dies für auch Afrika Risiken wie verstärkte technologische Abhängigkeit, beschleunigte Umweltzerstörung, verstärkte Klimawandelauswirkungen und der Import europäischer CO2-Emissionen.
  5. Förderung der Kreislaufwirtschaft. Der Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft als Baustein des EGD strebt an, den Materialverbrauch durch Wiederverwertung und Recycling zu reduzieren. Der Plan gilt als Leitlinie für alle Sektoren, wobei Handlungsbedarf vor allem bei ressourcenintensiven Wirtschaftsbereichen wie der Textil-, Bau-, Elektronik- und Plastik-Industrie gesehen wird. Dies könnte einigen Sektoren in afrikanischen Staaten neue wirtschaftliche Chancen eröffnen. Die Verlagerung von Teilen der Wertschöpfungskette der Kreislaufwirtschaft zu afrikanischen Herstellern könnte die Fertigung dort stärken und afrikanischen Unternehmen ermöglichen, sich stärker gewinnbringenden Aktivitäten zu beteiligen. Es ist wichtig, den EU-Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft in Einklang zu bringen mit bestehenden afrikanischen Initiativen wie der Afrikanischen Allianz für Kreislaufwirtschaft, die von Nigeria, Ruanda und Südafrika gegründet worden ist.
  6. Einsatz neuer Technologien. Der EGD will kommerziellen Anwendungen bahnbrechender grüner technologischer Innovationen zum Durchbruch verhelfen und dafür Märkte schaffen, um sich so einen Vorteil gegenüber der Konkurrenz in den USA und China zu verschaffen. Afrikanische Staaten werden Mühe haben, diese neuartigen und zum Teil mit hohen Kosten verbunden grünen Technologien zu übernehmen. Doch der Wettbewerb unter den Produzenten, insbesondere der EU und China, könnte die Preise rasch sinken lassen und es afrikanischen Staaten ermöglichen, frühzeitig einen Transfer von Fähigkeiten, Wissen,Technologie und die Ansiedlung von Arbeitsplätzen, die im Zusammenhang mit diesen neuen Technologien entstehen, auszuhandeln. Etwa 35 Prozent von Horizont Europa, einem Forschungs- und Innovationsförderprogramm der EU, für das für die Jahre von 2021 bis 2027 insgesamt 95,5 Milliarden Euro (113.5 Mrd. $) bereitstehen, sind der Klimaforschung gewidmet. Hieraus ergeben sich sowohl in Europa als auch in Afrika Möglichkeiten der Zusammenarbeit zwischen Industrie und Forschung.
  7. Finanzierung des EGD. Um ihre Klimaziele bis 2030 zu erreichen, rechnet die Europäische Kommission mit einem jährlichen Investitionsbedarf von 260 Mrd. Euro (309.4 Mrd. $). Insgesamt beabsichtigt die EU, in einem Jahrzehnt mindestens eine Billion Euro nachhaltiger Investitionen durch den internationalen Emissionshandel, eine Revision des europäischen Zertifikatehandels und die Einführung eines CO2-Grenzausgleichmechanismus bei Importen in die EU (CBAM) zu generieren. Der CBAM könnte Exporteuren aus einkommensschwächeren Ländern, auch solchen in Afrika, zusätzliche Kosten aufbürden. Diese nicht beabsichtigten Folgen sollten in Absprache mit den Betroffenen ausgeglichen werden. Obwohl für den EGD noch keine Ausgabenplanung vorliegt, ist es erwähnenswert, dass die Höhe der Klimamittel der Europäischen Kommission und der Europäischen Investitionsbank seit 2018 nicht über durchschnittlich 5,7 Mrd. Euro (6.7 Mrd. $) gestiegen ist. Noch immer wird nichtkonzessionären Krediten Vorrang über Zuschüsse der EIB gegeben. Darüber hinaus legen weiterhin beide Institutionen ihren Fokus auf Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels als auf Anpassungs- und Resilienzmaßnahmen. Sie haben sich außerdem auf reichere Länder mit mittlerem Einkommen als in Ländern mit niedrigem Einkommen fokussiert.

Politikempfehlungen

Der EGD ist zunächst ein internes Projekt der Europäischen Union, wird aber angesichts der engen wirtschaftlichen und historischen Verbindungen der Kontinente potenzielle Folgen für afrikanische Länder haben. Diese Folgen werden sich auf den Märkten für landwirtschaftliche Produkte, fossile Brennstoffe und andere Rohstoffe bemerkbar machen. Europas finanzielle Stärke, seine Technologien und Standards sorgen dafür, dass der EGD Spuren in Afrika hinterlässt

Doch noch ist ungewiss, welches Ergebnis am Ende steht. Die vom EGD anvisierte Transformation bietet eine Möglichkeit, die Beziehungen zwischen der EU und Afrika von Grund auf neu zu gestalten, von der bisherigen Geber-Empfänger-Beziehung hin zu einer für beide nützlichen Partnerschaft im 21. Jahrhundert – sofern jetzt die richtigen Schritte unternommen werden. Dazu gehören die folgenden:

  1. Die Bildung echter Partnerschaften bei der Beschaffung kritischer Rohstoffe und Energielieferungen aus Afrika durch den Aufbau industrieller Kapazitäten, die Ansiedlung von Wertschöpfungsketten und das Teilen von Technologien. Produktionsstätten für die Erzeugung sauberer Energietechnologien, wie zum Beispiel Solarpaneele und Batterien, können in Ländern mit großen Rohstoffvorkommen wie der Demokratischen Republik Kongo aufgebaut werden, während die EU sich von chinesischen Lieferketten wegorientiert.
  2. Anpassung der Elemente des EGD, die unmittelbaren Folgen für Afrika haben, an die von dem Kontinent selbst formulierten Entwicklungsziele. Diese Prioritäten Afrikas werden bereits in politischen Dokumenten auf regionaler oder nationaler Ebene dargelegt. Europa sollte seine finanzielle Stärke und technologischen Standards nicht einsetzen, um außen- und geopolitische Interessen auf Kosten Afrikas eigener Entwicklungsvorstellungen durchzusetzen.
  3. Abgleich der von der EU erklärten Prinzipien beim Thema Nachhaltigkeit mit den tatsächlichen Volumen der Klimafinanzierung für Afrika. Diese Klimafinanzierung sollte getrennt von der offiziellen Entwicklungszusammenarbeit behandelt und entweder als Zuschuss oder zu konzessionellen Bedingungen gewährt werden, um zu vermeiden, dass ärmere Staaten mit untragbaren Schulden belastet werden. Diese Finanzmittel sollten außerdem nicht länger vorrangig zur Eindämmung des Klimawandels, sondern auch stärker für Klimawandelanpassungsmaßnahmen verwendet werden.

Um die Chancen zu nutzen, die der EGD bietet, und um potenzielle Risiken zu begrenzen, sollten afrikanische Länder ihre eigene Transformationsagenda formulieren und durchsetzen. Angesichts des Klimawandels sollten sie ihre eigenen Prioritäten ausformulieren und dabei ihre Rohstoffvorkommen, das historische Erbe, ihre Entwicklungsstrategien und geopolitischen Interessen in berücksichtigen. Mit Blick auf den EGD sollten sie klare Forderungen an die EU stellen. Zu den Elementen dieser Transformationsagenden können gehören:

  • eine Aktualisierung der geologischen Bestandsaufnahme ihrer Vorkommen an fossilen Brennstoffen, kritischen Rohstoffen (CRMs) und erneuerbaren Ressourcen, um ausländische Direktinvestitionen (FDI) anzuziehen;
  • eine Stärkung marktschaffender Instrumente durch die Aktualisierung von Gesetzen, Politiken und Verordnungen, die eine Transformation hin zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft und den damit verbundenen Bedarf an kritischen Rohstoffen wiederspiegeln;
  • eine enge Zusammenarbeit mit dem lokalen Privatsektor, um neue Finanzinstrumente zu nutzen, die im Kontext des EGD die Schaffung von Arbeitsplätzen, die Verbesserung von Qualifikationen, Einführung von Technologien sowie Investitionen in Forschung und Entwicklung zur Förderung lokaler Innovation; und
  • Entwicklung einer eigenen umfassenden Klimastrategie durch Fertigstellung des Klima-Aktionsplans der Afrikanischen Union, Aktualisierung sektorspezifischer Strategien in Bereichen wie Bergbau, Biodiversität, Kreislaufwirtschaft und Landwirtschaft sowie der Entwicklung von gemeinsamen Positionen zur Bewältigung der Energiewende, insbesondere angesichts der bevorstehenden Veränderungen auf dem Weg in ein postfossiles Europa.

Auch Forschungsinstitutionen haben eine Rolle in der Gleichung zu spielen. Es gibt beträchtliche Wissenslücken, die zusätzliche Forschung erfordern:

  • Erhebung von Daten in den relevanten Sektoren für bessere Prognosen. Aus Basis fundierter Prognosen wird die Quantifizierung und Modellierung der hier thematisierten Schlüsselfragen auf einer regional, national und kontinentweit. Dies ermöglicht es politischen Entscheidungsträgern Herausforderungen besser verstehen und begegnen zu können. Im Einzelnen kann es darum gehen, die Auswirkungen des CBAM auf Landwirtschaft, Öl und Gas sowie den Warenexport aus afrikanischen Staaten in die EU zu modellieren, genauere Daten über Klimafinanzierung zu erstellen und die Veränderungen in den Investitionszuflüssen von fossilen Brennstoffen und kritischen Rohstoffen entsprechend der sich wandelnden Nachfrage aus Europa zu bemessen.
  • Entwurf einer gerechten Transformation für Afrika. Afrikanische Wissenschaftler:innen und Entscheider:innen sollten eine gerechte, an die Realitäten des Kontinents angepasste  Transformation entwerfen, damit nationale politische Strategien die Beziehungen zu externen Partnern, wie etwa der EU, rahmen. Solch ein Entwurf würde Afrikas Entwicklungserfordernisse und die Bedarfe an qualifizierten Arbeitsplätzen und wirtschaftlichem Wachstum mit den durch den Klimawandel gegebenen Einschränkungen in Einklang bringen.
  • Vermeidung neuer technologischer Abhängigkeiten. Umfangreiche Forschungen sind erforderlich, um zu untersuchen, wie sich eine Wiederholung der technologischen Vorherrschaft und Abhängigkeit, die die Öl- und Gas-Ära geprägt haben, bei der Einführung der Wasserstoffproduktion und dem Ausbau des Rohstoffabbaus vermeiden lassen.
  • Transparenz bei der Verteilung der Mittel aus dem EU-Klimafonds. Um einen Abgleich mit den im Pariser Abkommen gemachten Zusagen zur Klimafinanzierung zu gewährleisten, sollte mehr Transparenz bezüglich der geleisteten Beiträge und Auszahlungen hergestellt werden. Tiefgehende Bewertungen der Risiken und Chancen von Eurobonds für die Staaten Afrikas sind ebenfalls erforderlich. Weitere Forschungsvorhaben sollten sich auch mit der Frage beschäftigen, wie sich afrikanische Volkswirtschaften vor Risiken schützen.
Über die Autoren

Zainab Usman ist Direktorin des Afrika-Programms am Carnegie Endowment for International Peace in Washington, DC.

Olumide Abimbola ist Direktor des APRI – Africa Policy Research Institute in Berlin.

Imeh Ituen ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften der Universität Hamburg.

APRI als Institution äußert sich nicht zu politischen Fragen. Die in den Veröffentlichungen zum Ausdruck gebrachten Ansichten sind die der Autor*innen und spiegeln nicht unbedingt die Ansichten von APRI, seiner Mitarbeitenden oder seines Vorstands wider.

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